Tatort Chefzimmer

Zwar erklären Anglizismen mit –ing überwiegend Handlungen, für welche die deutsche Sprache einen ganzen Satz braucht, aber bei Grobheiten, Brutalitäten und unerwünschten Psychospielen in der Arbeitswelt begreifen wir das -ing (Mobbing, Bossing, Straining) als Anhaltspunkt für eine Vielzahl von verachtenswerten Verhaltensweisen, deren Aufzählungen Bibliothekscharakter haben.

 

Während in allen Branchen und Schichten die Begrifflichkeit Mobbing Einzug durch die unreflektierte Berichterstattung diverser Medien gehalten hat, geben sich viele Menschen in einem aufrechten Arbeitsverhältnis erstaunt, wenn das Betragen ihres Chefs als Bossing qualifiziert wird. Auf gleicher Hierarchieebene sind Schweinereien und Arschlochmechanismen unter Umständen einer Sensibilität und Gewissensprüfung zugänglich, wenn die Gemeinheiten jedoch „von oben“ kommen, werden unfaire und zerstörerische Bedingungen wie eine himmlische Plage untertänig und gottgewollt hingenommen. Bossing gehört zu den schäbigsten Varianten des Arschloschverhaltens in der Arbeitswelt, weil dieser Führungsstil zu Cliquenstrukturen und Gangmechanismen am Arbeitsplatz einlädt und nach sich zieht. Auf der gleichen Hierarchieebene löst das schikanöse Verhalten des Vorgesetzten oft Mobbinghandlungen aus, weil einige Damen und Herren sich von der Geschäftsleitung eingeladen fühlen, sanktionslos ein Arschloch zu sein. Der Kollege wird für „vogelfrei“ erklärt! Wohin soll er sich mit seiner innerbetrieblichen Arbeitssituation wenden? An jene, die beschlossen haben, das Dienstverhältnis in der Form zu beenden, dass der Mitarbeiter mittels Selbstkündigung aus dem Betrieb gedrängt wird? Es ist lieb und herzig, wenn in einer Endlosschleife die mediale Durchsage läuft, wo sich Opfer überall Hilfe holen können: Betriebsrat, Gewerkschaft, Mobbingberatung, Beratung durch Rechtsanwalt, Psychologen, Psychotherapeuten oder der Klassiker: Lass dich coachen! Die positiven Ergebnisse sind allerdings spärlich und lassen zu wünschen übrig, ausgenommen davon sind Machteingriffe von Hierarchieebenen, die über den fiesen Vorgesetzten stehen und mit einem klaren Weisungs- und Durchgriffsrecht ausgestattet sind.

 

Als Bossinggeschädigter auf Koalitionen in der Kollegenschaft setzen, darf aus der Expertensicht berechtigt, als naiv bezeichnet werden. Niemand möchte als Gefolgsmann des Opfers der Nächste auf der Abschussliste seines Chefs sein!

Einzig und allein bilden ein loyaler Freundeskreis und die Familie eine optimale Unterstützung, damit der leidtragende Arbeitnehmer psychisch und physisch heil aus der Tretmühle Bossing herauskommt.

 

Beim Bossing kann sich das Arschloch selbst verwirklichen

Mobbinghandlungen auf gleicher Hierarchieebene werden vorsätzlich ohne Zeugen und Beweise gestaltet; beim Bossing kommt eine perfide Verhaltensweise hinzu, nämlich die lavierte Motivlage. Das Kämpfen mit offenem Visier ist bei arbeitsrechtlichen Verfehlungen unabhängig von Hierarchiestufe niemals eine Stärke der Täter! Der Chef behauptet unter Einsatz seiner Autorität, falls das Opfer nicht mehr gewillt ist, sich quälen zu lassen: Ich werde wegen korrekter Erfüllung meiner Leitungsfunktion vom Mitarbeiter ungerechtfertigt angegriffen! Als Verantwortungsträger muss er Arbeitsleistung bewerten, muss bei Fehlern korrigierend einschreiten, ist verantwortlich für die Aufsicht und den Unternehmenserfolg und hat in dem „Kollegen“ überdies ein problematisches soziales Auftreten erkannt, das nicht zur Firmenkultur passt. Salopp formuliert hat es das Chef-Arschloch bei Bossing nicht notwendig, dem Mitarbeiter, während dieser draußen vor der Tür eine Zigarette raucht, in die offene Cola-Dose zu pinkeln; der mobbende Kollege schon. Der Chef kann Arschlochverhalten stets unter Beifall oder Duldung von Belegschaftsteilen sanktionslos leben, überhaupt wenn der Betriebsrat mitspielt. Moralische Bedenken gibt es keine: Welches Arschloch gibt etwas darauf, was hinter vorgehaltener Hand über ihn gesprochen wird?

 

Für allfällige Beschwerden bei übergeordneten Stellen hat das Chef-Arschloch ein dickes Lexikon an Ausreden und einige Totschlagargumente parat. Das Argument „Die Kennzahlen passen!“ und „Die Dame steht unserem Unternehmenserfolg im Weg“ lässt sofort jegliches Interesse am Problem oder am Schutz für den betroffenen Dienstnehmer fallen. Sogleich verschließen höhergestellte Funktionsträger – falls es die überhaupt gibt – ihre Ohren, damit niemand Gefahr läuft, dem Opfer seine Würde oder sein vom Gesetzgeber eingeräumtes Arbeitnehmerrecht zurückzugeben. Wo kommen wir denn da hin? Paradoxerweise stärkt die ausgetragene Auseinandersetzung Vorgesetzter-Mitarbeiter vor einer höheren innerbetrieblichen Instanz das Chef-Arschloch, denn kein Aufsichtsrat will sich eingestehen, dass die Bestellung des Vorstandes und die verbundenen nachgeordneten Personalbesetzungen Fehler mit verheerenden Folgen für das Organisationsverhalten sein könnten und sind. Kein Geschäftsführer wird bekennen, dass er eine verfehlte Personalpolitik zu verantworten hat, indem er nicht charakterlich geeignete Führungskräfte einstellt und mit Leitungsaufgaben betraut hat.

 

Wenn die Geschäftsleitung Bossinghandlungen von Vorgesetzten nicht unterbindet, muss sie nicht nur bezüglich des Versagens der Fürsorgepflicht als Dienstgeber vor dem zuständigen Arbeitsgericht eventuell Rechenschaft ablegen, sondern hat auch den betriebswirtschaftlichen Schaden durch den Rückgang an Produktivität bei (gewollter) Untätigkeit vor dem Firmeneigentümer zu vertreten. Bossing desavouiert die Geschäftsprozesse nach außen und zerfrisst das Betriebsklima und den Arbeitseifer nachhaltig und kostenintensiv nach innen!

Hilflos in der Höhle des Löwen gefangen

Das Bossing-Opfer arbeitet im Bau des Chef-Arschloches und ist seiner Willkür und Launen gnadenlos ausgeliefert. Viele fragen sich: Warum ich? Es gibt zwei Gruppen, die prädestiniert für Bossingattacken sind. Hier sind jene Menschen zu nennen, die einen besonderen Kündigungsschutz durch das Behinderteneinstellungsgesetz zugesprochen bekommen; und Arbeitnehmer, die im Zeitpunkt ihrer Einstellung das 50. Lebensjahr vollendet haben. Diese genießen ab Vollendung des zweiten Beschäftigungsjahres im Betrieb einen speziellen Kündigungsschutz. (Mit 1.7.2017 wurde der spezielle Kündigungsschutz für ältere Arbeitnehmer bei Neueinstellung ersatzlos gestrichen)

 

Im Öffentlichen Dienst ist Bossing seit dem „Hirtenbrief“ (Joseph II. vom 13. Dezember 1783 „Erinnerung an seine Staatsbeamten“) systemimmanent angelegt, denn der Beamte ist pragmatisiert, daher ist die Auflösung des öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnisses seitens des Dienstgebers nur über ein Disziplinarverfahren bei schwersten Verfehlungen bzw. gröblichen Dienstverletzungen gesetzlich vorgesehen. Bereits die berechtigte und organisatorisch notwendige Versetzung auf eine gleichwertige Planstelle oder in eine andere Dienststelle kann sich für einen korrekten, tadellosen Dienststellenleiter oder die übergeordnete Dienstbehörde als undurchführbare Mammutaufgabe erweisen. Daher wird oftmals zu subtilen Verhaltensweisen und Maßnahmen gegriffen, um den Beamten „aus freien Stücken“ zur Aufgabe seiner Widersetzlichkeit oder zur „Kooperation“ zu bewegen.

 

Bemerkenswert! Es beklagen mehr Frauen als Männer, dass sie Bossing ausgesetzt sind; insbesondere alleinerziehende Mütter sind davon betroffen, die in schwierigen Rahmenbedingungen leben.

 

Beim Bossing kommt primär das Motiv der Auflösung des Dienstverhältnisses zum Tragen, deshalb kann das Opfer die Umstände und vor allen Dingen die Zielsetzung nicht ignorieren. Einhergehend ist, dass die belastende Arbeitssituation über kurz oder lang Verletzungen in der Psyche hinterlässt, die merklich auf das Opfer in Form von psychischen und physischen Erkrankungen durchschlagen und letztendlich ebenfalls den privaten Lebensbereich durchdringen.

 

Unter Zuhilfenahme von Profis sind Entscheidungen zu treffen, wie es in der Firma weitergehen soll. In die Offensive gehen und mit dem Chef-Arschloch kämpfen, durch Widerstand Untersuchungen verursachen und mit den eigenen Waffen schlagen ist nicht jedermanns Sache und Geschmack. Einmal mit der Schlacht begonnen, gibt es kein Zurück und mit größter Wahrscheinlichkeit ist der Arbeitsplatz nicht mehr zu retten. Finanzielle Ansprüche, die persönliche Integrität und die Gesundheit sollten sich Betroffene auf jeden Fall bewahren. Das ist viel mehr, als die passiven Bossingopfer rausholen!

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